"SCHUKSCHINS ERZÄHLUNGEN" – DIE KRITIK

Christine Koblitz
05.2009
kulturwoche.at

Der russische Schriftsteller Vasilij Schukschin erzählt Geschichten über das Leben im Dorf. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis und das Moskauer Theater der Nationen erfüllen acht dieser Geschichten mit übersprühender Lebensfreude. Das Wiener Publikum bei den Festwochen, die erste Gastspielstation, darf sich an "Schukschins Erzählungen" erfreuen und tut es ausgiebig.

Um heraus zu finden wie es denn so ist auf dem Land, sind Regisseur und Schauspieler zu Arbeitsbeginn nach Strotski gefahren, in das Dorf im Altaigebirge, in dem Schukschin geboren wurde. Die Fotografin und Bühnenbildnerin Monika Pormale haben sie auch mitgenommen. Ihre ausdruckstarken Portraits bilden auf wechselnden Prospekten die Hinterwand der Bühne. Ziel der Reise war es allerdings nicht, das Dorf nachzuspielen, sondern die Distanz zu begreifen.

Russischer Tratsch und Brautwerbung

Schukschins Texte werden auf die Schauspieler aufgeteilt. Hier wird nicht nacherzählt, sondern gespielt als wäre es der reine Dialog. Eine Besonderheit, die dank der Simultanübersetzung von Stefan Schmidtke, nicht nur versteht, wer russisch spricht. Auf dem Land entsteht der Tratsch schon während die eigentliche Sache noch im Gange ist. In der Geschichte "Stjopkas Liebe" erzählen zwei an Sonnenblumenkernen pfriemelnde Mädchen, was Stjopka auf der anderen Seite gerade erst erlebt. Seine Begegnung mit dem schönen Mädchen aus der Stadt. Er passt noch nicht einmal in sein Sakko und will sie doch gleich heiraten. Gemeinsam mit seinem grummeligen, wortkargen Vater putzt er sich unter Anleitung des Großvaters für die Brautwerbung heraus. Dass sie den Leuten aus der Stadt ein wenig lächerlich erscheinen müssen, wissen sie selbst. Und doch gewinnt der schüchterne Tolpatsch (Pawel Akimkin) mit seiner entwaffneten Offenheit irgendwie das Herz der Schönen (Natalja Nosdrina).

Halbwissen ist besser als gar kein Wissen

Die Männer lieben ihre Frauen, diese verzeihen ihnen dafür jede Dummheit. Da kann es schon einmal vorkommen, dass einer für sein hart verdientes Geld schicke, weiße Stiefel kauft, nur um seiner Frau eine Freude zu machen. Dass sie ihr dann gar nicht passen und schließlich an den Füßen der Tochter landen – "ach, schon gut". Halbwissen ist besser als gar kein Wissen. Auch wenn einer durch das Mikroskop den Mond betrachten will. Seine Mikroben können jetzt alle sehen und das ist schon ungeheuerlich. Bis seiner Frau klar wird, dass hier das Haushaltsgeld verschwendet wurde. Wann immer es ein Problem gibt, geht der Mann einen trinken und hofft, dass sich in seiner Abwesenheit der Sturm legt. Bei Schukschin funktioniert dieses Rezept. Wenn die Städter kommen, wird es interessant, aber es gibt auch immer Zoff. Die Heimkehr des verlorenen Sohnes Ignachi hat sich der Vater anders vorgestellt. Die Mutter stirbt so langsam vor sich hin, aber sonst ist alles gut. Ignachi soll den Hof übernehmen. Doch er hat die Lieder der Mutter und die Sprache des Vaters verlernt. Lieder werden von Mund zu Mund weitergegeben. Sie leben durch den Gesang und nicht durch die Aufzeichnung. So wird auf der Bühne viel gesungen. Von der traurigen Weise bis zum überschwenglichen G'stanzl. Die Stimme der alten Frau zwischen den Szenen klingt wie ein Gruß aus Strotski.

Aus vollem Herzen lachen

Das Glück liegt im Dorf. Der Tänzer Kolja, der Waljuscha in die Stadt folgt, zerbricht an seiner von Ehrgeiz und Geldgier zerfressenen Ehefrau. Ein anderer Mann flieht vor Sehnsucht nach seiner Familie wenige Wochen vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Dafür muss er jetzt zwei Jahre zusätzlich absitzen. Bei soviel Dummheit schüttelt sogar der Dorfpolizist den Kopf. Die Geschichten von Schukschin sind unbekümmert, sentimental, manchmal traurig, meist jedoch sehr fröhlich. An diesem Abend wurde viel und aus vollem Herzen gelacht. Das ist dem großartigen Zusammenspiel des Ensembles zu verdanken. Herausragend natürlich Jewgeni Mironow, der in fast allen Episoden die Hauptrolle übernimmt, gleichzeitig auch der Leiter des Moskauer Theaters der Nationen. Welchen Bekanntheitsgrad er und Chulpan Hamatowa nicht nur in Russland genießen, sieht man an den Huldigungen des Publikums. Alivs Hermanis hat die Schauspieler im Glauben gelassen, nur hier und da ein wenig zu dirigieren. Diese Herangehensweise macht ihn wohl auch zum derzeit - laut Renate Klett - "heißesten" Regisseur. Wir jubeln fleißig mit und freuen uns auf weitere Inszenierungen. Mit "Sound of Silence" gastiert er im August bei den Salzburger Festspielen.