Sonntagabend hatte "Schukschins Erzählungen" in der Inszenierung des großartigen lettischen Regisseurs Alvis Hermanis bei den Wiener Festwochen Premiere

Die Charaktere in dem Stück des früh verstorbenen Dichters Wassili Schukschin (1929-1974) sind authentisch, rührend und für den lettischen Regisseur Alvis Hermanis ganz unmittelbar "russisch". Es sind Alltagsszenen aus einem kleinen russischen Dorf namens Srostki im Altaigebirge, nahe der kasachischen Grenze, die kaleidoskopartig ein Gesamtbild der Bewohner dieses Mikrokosmos bieten, in dem die Sonnenblumen allein die vorbeiziehende Zeit zu dokumentieren scheinen.

Subtile Menschlichkeit

"Schukschins Erzählungen" sind die Geschichten von Ausreißern und Heimkehrern, Liebesbeziehungen und Schicksalsschlägen, aber auch ganz alltägliche Szenerien, die den Zuschauer in ihren Bann ziehen. Nicht zuletzt durch eine brillante schauspielerische Leistung des Moskauer Theaters der Nationen hat Hermanis hier auf unglaublich subtile Weise, ohne jemals ins Klischeehafte abzurutschen, die Empfindsamkeit und Zerbrechlichkeit – schlichtweg die Menschlichkeit – dieser Dorfbewohner auf die Bühne gebracht.

Ein blinder alter Mann hört plötzlich zu musizieren auf, weil ihm niemand mehr zuhört, ein liebender Ehemann kauft seiner Frau mit seinem gesamten Ersparten sündteure Stiefel, die ihr nicht passen und ein Ex-Häftling bricht aus Sehnsucht nach seiner Heimat drei Monate vor der Entlassung aus dem Gefängnis aus. Geschichten wie sie nur das Leben schreibt.

Authentische Bilder

Das Bühnenbild ist simpel und wird durch großflächige Farbporträts der echten Dorfbewohner Srostkis – zu jeder Szene passend – ganz besonders aufgewertet. Gemeinsam mit der Fotografin Monika Pormale unternahm Hermanis eine Forschungsreise in den Geburts – und Arbeitsort Schukschins.

"Schukschins Erzählungen" ist ein naturalistisches Schauspiel, dessen Darsteller einen solchen Charme versprühen, dass man den kleinen Ort Srostki fast schon als potenzielles nächstes Reiseziel überdenkt.