DAS KINO ALS SEISMOGRAPH DER WELTBEWEGUNGEN

Titel
03.29.2004
Wolfram Schütte

Auf dem 52. Internationalen Filmfest von Mannheim-Heidelberg

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Die Nachrichten, die einen auf dem 52. Internationalen Filmfest Mannheim-Heidelberg aus allen Weltgegenden erreichten, berichten vom verzweifelten, mutigen, aussichtslosen und selten glücklichen Kampf der Menschen auf der Suche nach Glück, Liebe, Anerkennung und individueller Würde. Emblematisch für diese Erfahrungsschübe für Kinogänger in den Festivalspielstätten an Rhein & Neckar zwischen dem 20. & 29. November dieses Jahres war deshalb die nahezu wort-& sprachlose Adaption von Kafkas paradigmatischer "Verwandlung", die der russische Theaterregisseur Valery Fokin als Ballett der Gesten inszenierte. Seinem Hauptdarsteller Yevgeny Mironov gelingt die Verwandlung des kleinen Büroangestellten Gregor Samsa in ein monströses Insekt mit einer pantomimischen Präzision, dass einem der Körper des Darstellers wie ein motorisches Insektoid erscheint, dem ein leidendes menschliches Antlitz aufsitzt: ein Fremdkörper, der verängstigt, verachtet und als lästiger, schmutziger Vorwurf seiner Mitmenschen langsam verendet. Es gab viel zu sehen und zu hören auf dem Filmfest; wie wenig davon wird man je außerhalb von Mannheim und Heidelberg noch begegnen!