POP-PRINZ SAXOPHON

Abendzeitung
09.25-26.1999
Mathias Hejny

Peter Steins russische Inszenierung von Shakespeares "Hamlet" als umjubeltes Gastspiel in der Münchner Reithalle

Hamlet hat den Blues. Bevor er zu seinem "Sein-oder-nicht-Sein-"Monolog anhebt, spielt er ein wenig auf dem Saxophon. Dieses Instrument steht für die Popkultur unseres ausgehenden Jahrhunderts, deren Tragik es ist, sich immer wieder neu vom Medium jugendlichen Aufbegehrens bereits im Augenblick des Hervortretens zum industriellen Konsumartikel zu wandeln und damit erwachsen zu werden.

Hamlet hat Probleme mit dem Erwachsenwerden. Wenn sein Onkel mit heuchlerischem Pathos eine Rede hält, kommentiert der junge Prinz mit dem Fiepen des Saxophonmundstücks. Auch Yoricks Schädel ist ihm ein Spielzeug. Peter Stein, der erklärt hat, er wolle mit dieser Inszenierung der russischen Jugend Shakespeare wieder nahebringen, hatte ein korruptes politisches System vor Augen: Korruption ist gleichfalls so ein typisch erwachsenes Tätigkeitsfeld, und wer nicht lernt, auf dem Jahrmarkt der Bestechlickeiten rechtzeitig mitzutun, bleibt auf der Strecke.

Die direkte Anspielung auf den Krieg mit Panzerrasseln nach dem Showdown ist beim Gastspiel in der Münchner Reithalle allerdings ebenso entfallen wie der finale Auftritt des auf dem Kriegspfad wandelnden Norweger-Prinzen Fortinbras. In dieser Fassung gibt es keinen Gewinner.

Nach der Euphorie, die Peter Steins "Orestie" 1994 in Moskau auslöste, fielen im Herbst vergangenen Jahres die Reaktionen auf Hamlet etwas verhaltener aus. Das hat, unter anderem, wohl auch mit der einen oder anderen handfesten Peinlichkeit zu tun.

So kann nur, wer sich unter einem Schlossgespenst ein weißes Tuch vorstellt, das durchs Gemäuer schwebt und seltsame Geräusche macht, mit der Darstellung des toten Hamlet senior etwas anfangen. Verzichtbar ist auch Hamlets Discobesuch, wo mit Rotlicht und Nebel Verruchtheit markiert wird und dem unglücklichen Prinzen blanke Busen entgegenwippen. Dass dieser Mann nach der Ur-Ent-täuschung, die ihm seine Mutter bereitet hat, mit den Frauen durch ist, stellt Jewgeni Mironow spätestens beim bösen Duett mit Ophelia mit seinem Spiel her.

Überhaupt dieser Mironov: Er ist das Kraftzentrum des knapp vierstündigen Abends, obwohl Stein aus verschiedenen Moskauer Theatern ein Dreamteam zusammenstellen konnte, in dem jeder einzelne vor physischer Präsenz zu bersten scheint. Doch selbst so singuläre Erscheinungen wie Irina Kuptschenko (Gertrud), Alexander Feklistow (Claudius) oder Elena Sacharowa (Ophelia), die mit ihrer Ausstrahlung und ihren Stimmen jeweils alleine ein Publikum schwindelig spielen könnten, fügen sich in ein Ensemble von dichter Homogenität. Jubel für herausragende Schauspieler in einer sympathisch altmodischen Inszenierung.