DÄMON DES VATERS

München Merkur
09.25-26.1999
Simone Dattenberger

Russisches Gastspiel: Peter Steins "Hamlet"-Inszenierung

Ein Dänenprinz aus der Feder eines Engländers, von einem Russen gespielt – und das Ganze von einem Deutschen inszeniert. Das ist ge-lebtes Europa. Aber Kunst tat sich schon immer leicht mit so einer herzerfrischenden Melange. Noch diesen Samstag ist William Shakespeares "Hamlet" in der Münchner Reithalle zu erleben. Peter Stein hatte das Stück 1998 mit russischen Künstlern erarbeitet. Bei ihrem Gastspiel erschien nicht nur die russische Gemeinde, sondern auch viele Münchner waren neugierig auf die hochgelobte Produktion.

Agiert wird auf einem runden Bretterpodest und zum Teil auf Gerüsten an den Hallenwänden. So gut wie keine Dekoration, kaum Requisiten. Die Kleidung ist heutig. Stein hat sich ganz auf den Text und seine Schauspieler konzentriert. Lässt als Auflockerung lediglich Musik – Hamlet spielt Saxophon, Rosenkranz und Güldenstern E-Gitarre – und Gesang zu: inklusive "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt", wenn der Erste Schauspieler als Transvestit auftritt. Aber das sind nur unwesentliche Schlenker. Mehr ins Gewicht fällt die Frage, ob das Regiekonzept noch so durchgeführt wird, wie von Stein gedacht. Viele Schauspieler machen doch eher Dienst nach Vorschrift. Das fällt um so mehr auf, als der gewaltige, alles prägende Kunst-Körper, Shakespeares Text, eben nicht in der Rede verstanden werden kann, sondern in teilweise schlechter Übersetzung und flüchtig gelesen werden muss. Die grandiosen Verse umhüllen die Darsteller nicht mehr, und so steht mancher von ihnen ziemlich nackt da. Das wiederum macht vor allem die Szenen ohne Hamlet langweilig.

Jewgeni Mironow zeigt ihn als depressives Wohlstands-bürschchen, das sich nach der Begegnung mit dem toten Vater in den Strudel von Intrige und Mord reißen lässt. Mironov hat Verve und Kraft, scheut Pathos nicht und nicht heutige Lässigkeit; die schillernden Beziehungen zu Ophelia und der eigenen Mutter glaubhaft zu machen, gelingt ihm nicht. Und: All sein Power-Play ist überzogen mit einer feinen Schicht von Schauspielereitelkeit, die den Glanz der wahren Kunst stumpf werden lässt.

Am spannendsten ist Peter Steins Konzept und damit die Aufführung an den Stellen, an denen sie es demonstriert: wenn Hamlet und der Geist seines Vaters zusammentreffen. Der Regisseur erzählt eine extreme Vater-Sohn-Geschichte. Und hier stimmen auch die Gesten. Der Lebende und der Tote (Oleg Vavilov) streben mit ausgestreckten Armen sehnsüchtig aufeinander zu. Hamlet gibt schließlich seine Angst, aber auch seine Selbstbestimmung auf und wird vom Geist umarmt. Der Prinz, der der Hofgesellschaft den Verrückten vorspiegelt, ist tatsächlich besessen. Vom Dämon des Vaters. Und der Totentanz beginnt. Hamlet ist nicht der, der die aus den Fugen geratene Zeit wieder zurechtrückt. Er unterwirft sich im Gegenteil den Gewaltnormen der Vätergeneration, bis der tote Vater das Leichentuch über den toten Sohn breitet. – Herzlicher Applaus.