DER DÄNENPRINZ IN MOSKAU

TZ München
09.25-26.1999
Barbara Welter

Peter Steins russischer "Hamlet" gastiert in der Münchner Reithalle

Peter Steins russischer "Hamlet" in der Reithalle: ein äußerst zwiespältiges Erlebnis. Kein Abend aus einem GUSS – sondern eine knapp vierstündige Bilderfolge zu Sex & Crime im modernen Russland. Brillante Episoden und ironisch unterfütterte Szenen wechseln mit dröger Texttreue und konventioneller Spielführung. Wenige verstörende, doch einige große Momente: Abwehr, Staunen, Langeweile.

Interessant ist Steins zweites Moskauer Theater-Experiment (nach der "Orestie") allemal – auch wenn es sich um klares Konzept und interpretatorische Ausdeutung drückt. Es beginnt puristisch auf Sprache konzentriert; eine ziemliche Zumutung fürs Publikum, denn die Qualität der eingeblendeten Übersetzung ist indiskutabel ("Wir haben sehr unausgereift gehandelt"). Im Mittelteil holt er auf die Bühne, was vielleicht Russlands aktuelle Jugendszene sein mag. Die erinnert fatal an unsere 60er Jahre: Langhaartypen mit Beatles-Songs auf der E-Gitarre und barbusig hüpfende Mini-Mädchen. Ganz wunderbar gearbeitet: kleine Miniaturen wie etwa der Auftritt der Schauspielertruppe mit einer Oper – oder der absolute Hingucker des Abends, die beiden alten Totengräber. Und es endet im 19. Jahrhundert: mit einem bestechend eleganten Fechtkampf in Echtzeit.

Blaues Licht akzentuiert das Spiel, das den ganzen Raum miteinbezieht. Von vier Tribünen aus verfolgen die Zuschauer das Drama, in dem es um Intrigen und Korruption, kurz um Macht geht.

Dem Programmheft entnimmt man, dass all diese Schauspieler Stars sind in ihrer Heimat. Für westliche Sehgewohnheiten aber bestätigen sie das Klischee (selbst Jewgeni Mironow als imposanter Hamlet) von russischer Darstellungskunst: hoher, gehetzter Deklamationston, ins Pathos übersteigerte Gestik und expressive Körperarbeit bei mimischer Starre. (noch diesen Samstag, S 089/1216237l).