PETER STEINS "HAMLET" IM MOSKAUER ARMEETHEATER

Alexander Dubatow
10.29.1998
welt.de

MOSKAU – Vier Tribünen stehen um das quadratische Podium auf der Bühne des Armeetheaters. Der pompöse Zuschauerraum ist durch eine schwarze Stoffwand abgetrennt. "Aus groß macht klein – mit Peter Stein", witzelt jemand auf deutsch. An Autokennzeichen vor dem stalinistischen Gebäude sieht man, daß viele Ausländer und russische Regierungsbeamte anwesend sind. Das Interesse für die Hamlet-Version des deutschen Starregisseurs, der in Moskau längst als einer der Großen der russischen Bühne gilt und eine "mystische Beziehung" zu Rußland hat, ist immens und das Haus allabendlich bis Ende Oktober ausverkauft.

Die Theater auf der Bühne braucht keinen Vorhang und nur notwendigste Requisiten, etwa eine seidene Bettdecke, unter der Polonius erstochen wird, oder die Bretterklappe, die Ophelias Grab symbolisiert. Horatio tritt mit Brille und Künstlerschal auf. Leartes trägt Jeans. Güldenstern und Rosenkranz geben Hamlet mit elektrischen Gitarren Geleit. Der spielt Saxophon und scheut die Disco nicht. Stein definiert Shakespeares Tragödie als den Generationskonflikt zwischen Vätern und Söhnen. Die Alten sind Geschäftsleute mit Krawatte, die Söhne stecken in studentischer Kluft. Ihr Kampf hat für das heutige Rußland, in dem die jungen Politiker gescheitert sind, durchaus politische Bedeutung. Und wenn Claudius dem Laertes verspricht, den Mörder seines Vaters zu bestrafen, denkt man an 37 bis heute nicht aufgeklärte Morde, die der russische Präsident "unter seine persönliche Kontrolle nahm".

Im Moskauer Satirikon-Theater verspottet der Georgier Robert Sturua mit seiner "Hamlet"-Version das Grüblerische als "Tragifarce". – Die Kritiken der Steinschen Arbeit reichten von mildem Tadel bis zum Verriß. Sein Hamlet sei "ein sehr deutsches Stück", schrieb die "Nesawissimaja Gaseta". In Wahrheit ist es ein betont russisches Trauerspiel. König Claudius ist unverkennbar ein "neuer Russe" und Ex-Parteibonze. In der Hauptrolle hält Jewgeni Mironow dem Vergleich mit Wladimir Wyssozki stand. In seiner Sowjetversion hatte einst Juri Ljubimow den Protestsänger das bekannte Gedicht "Hamlet" aus dem Schiwago-Roman rezitieren lassen. Wohl deshalb verwarf Stein Pasternaks Hamlet-Nachdichtung und fügte einen Text aus verschiedenen Fassungen für seine Produktion zusammen. Zum Finale erscheint Fortinbras mit einer Kalaschnikow als Tschetschenien-Veteran und neuer Herrscher.