"BUMBARASCH"

(vom privaten Archiv von Jewgeni Mironow)

Bei "Bumbarasch" handelt es sich um die doppelte Transformation einer literarischen Vorlage des gleichnamigen Romanfragments von Arkadi Gajdar (1904 bis 1941), eines populären sowjetischen Kinderbuchautors. "Bumbarasch" gehört absolut nicht zu den bekanntesten Figuren, die Gajdar geschaffen hat: ein unpolitischer Pazifist, der nach dem Ersten Weltkrieg vom Kämpfen ein für alle Mal genug und nur mehr sein eigenes bescheidenes Glück im Auge hat, paßte auch nicht ins Konzept einer sowjetischen Kinderbuchideologie und blieb vielleicht auch aus diesem Grund Fragment.

Es bedurfte großer Sachkenntnis und enormen Fingerspitzengefühls, um diesen völlig unscheinbaren Helden aus der Versenkung des Gajdar'schen Gesamtwerks zu holen und zum Publikumsliebling werden zu lassen. Das ist Juli Kim gelungen, einem Autor und Liedermacher, der sich wie so viele andere seiner Generation nach den enttäuschten Hoffnungen der Tauwetter-Periode ins Privatleben zurückzog, Drehbücher und Filmmusiken schrieb, nie aber zu denen gehörte, die im sowjetischen Kulturbetrieb an vorderster Stelle standen. Zweifellos hat er Bumbarasch' Credo "Weder für die Weißen, noch für die Roten, und auch nicht für die Grünen" als absolutes Plädoyer für den Vorrang des Privaten vor dem Politischen, des Menschlichen vor dem Ideologischen verstanden und diesen Satz aus dem ursprünglichen Text zum Konzept eines neuen Helden gemacht, der zunächst in dem gleichnamigen Film – Kim schrieb dafür das Drehbuch und komponierte die Songs – großen Erfolg hatte.

Ein Held, der solche Ansichten vertrat, mußte aber, zumindest für die Zensur, auf andere Art und Weise "entschärft" werden: Bumbarasch wurde von seinem "zweiten Vater" zum Märchenhelden umgestaltet, zu einem "Dummen Iwan", der bei aller vordergründigen Einfalt letzten Endes der Klügere ist, weil er sich von seinem, wenn auch utopisch anmutenden Programm nicht abbringen läßt – nur ein solcher "jüngerer Bruder" hat im Märchen Chancen, die Zarentochter zur Frau zu gewinnen und mit ihr friedlich und unbehelligt zu leben. Vieles aus dem Zaubermärchen läßt sich im Film wiederfinden – der Luftballon, in dem Bumbarasch an der Front allen Gefahren entgeht, ist nur ein Beispiel für die übernatürlichen Bewegungsmöglichkeiten des Helden. Die wohl nicht ganz freiwillige Transformation unseres Helden ins Märchen hat diesem aber nicht geschadet, er ist dadurch origineller, plastischer und auch liebenswürdiger geworden, und sein Anliegen, das des "Russen, der nicht immer nur leiden will", hat man auch aus dem Spielfilm gut herausgehört.

Fast zwei Jahrzehnte später hat ein junger Regisseur, Wladimir Maschkow, in einer völlig veränderten historischen Situation einmal mehr auf die Figur des Bumbarasch zurückgegriffen und diese bühnenwirksam gemacht. Einmal mehr stammt der Text dieser Aufführung von Juli Kim, der die Songs aus dem Film in ein geschlossenes "Lied von Bumbarasch" einbezogen hat, in dem auch die gesprochenen Teile rhythmisch und gereimt sind. Die vielen lyrischen, häufig auch dialektal gefärbten Passagen erinnern an das Volkslied, Anleihen bei Jargon, Slang und sowjetischen Sprachklischees stellen den Bezug zu einer zeitgenössischen und sehr lebendigen Sprache her. Alles in allem eine äußerst originelle Mischung, deren poetischer Wert unbestritten ist. Ebenso wie die Sprache greift die Inszenierung auf die Traditionen der russischen Folklore zurück und hält sich an den holzgeschnittenen Lubok, den Volksbilderbogen, der seit dem 17. Jahrhundert kurze Texte mit Farbholzschnitten illustrierte. Der Lubok vereint Bild und Text, die Aufführung Bewegung und Gesang – in beiden Fällen aber verzichtet man auf die Perspektive, auf die dritte Dimension der psychologischen Tiefe. Einfach und plakativ sind die Figuren, simpel die Konstellationen der Handlung, die Moral liegt auf der Hand. Die Stilisierung hebt das Historische auf in den Mythos, wenngleich dieser auch eine postmoderne, parodistische Form angenommen hat. Klischees der alten Ideologie sind zu Versatzstücken eines modernen Märchens geworden, das offiziöse Pathos der Vergangenheit bewältigt man am besten in der musikalischen Revue.